Fachhochschule, Kunsthochschule, Universität – drei Kategorien kennt die Hochschullandschaft in Deutschland und in manchen anderen europäischen Ländern, zumindest ist das Hochschulsystem oft ähnlich gegliedert. Eine niederländische Untersuchung, finanziert im Rahmen des Socrates-Programms, zeigt einen Weg auf, wie die klassische Einteilung, die der heutigen Realität der Hochschulen nicht mehr gerecht wird, überwunden werden kann.
Die universitären Hochschullehrer, die diese Untersuchung durchführten, waren sich sehr wohl bewusst, dass sie damit nicht gerade die Interessen ihrer eigenen Hochschulen vertraten – in den Niederlanden zieht das binäre System aus wissenschaftlichen Universitäten und berufspraktisch ausgerichteten Fachhochschulen nach wie vor tiefe Gräben zwischen den beiden Lagern, und das mit gutem Grund: die niederländischen Hogescholen sind keine wissenschaftlichen Einrichtungen wie z. B. die deutschen Fachhochschulen.
Projektleiter Prof. Dr. Frans van Vught – auf dem Foto in der Mitte, links von ihm José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, bei der Eröffnung des »Netherlands house for Education and Research«, Neth-Er, am 21. Februar 2007 – stellte in seinem Forschungsbericht heraus, dass die Verschiedenheit der Bildungseinrichtungen erhalten und sogar weiter ausgebaut werden soll. Die Europäische Kommission hatte das in den Jahren 2003 und 2005 bereits postuliert.
Van Vughts Projektgruppe entwarf ein Szenario, das sich grundsätzlich am US-amerikanischen System der »Carnegie Classification« sowie an den Entwicklungen in Großbritannien orientiert.
In den USA werden dabei unterschiedliche Klassifikationen angewandt, an denen man die Grundlagen einer Einrichtung sowie die speziellen Ausrichtungen und Dimensionen von Lehre und Forschung gut und schnell erkennen kann; in England, wo die damaligen Fachhochschulen (»Polytechnics«) schon 1992 zu Universitäten ernannt wurden, kennt man immerhin sieben Kategorien.
Klassifizierung in den USA
Carnegie lässt zum Beispiel die Florida Gulf Coast University, die berufsfeldorientiert arbeitet, überwiegend Bachelorstudiengänge, wenige Masterstudiengänge und keine eigenen Promotionsmöglichkeiten kennt (bei uns also eher eine Fachhochschule), so zuordnen:
Ein anderes Beispiel sei hier die University of Florida, die erkennbar als forschende Universität eingeschätzt werden kann:
Beide Institutionen dürfen sich Universität nennen; dank der Carnegie Classification kann aber jeder sofort erkennen, welches Angebot er dort erwarten kann.
Klassifizierung für Europa
Für den Entwurf eines europäischen Klassifikationssystems legten die Forscher zunächst fest, dass sich eine Typologie von Hochschulen an objektiven Daten über das gegenwärtige Verhalten der Einrichtungen orientieren sollte, also a posteriori, nicht an den Vorgaben der jeweiligen Regierungen und ihren a priori festgelegten Demarkationslinien. Damit hat Van Vught einen Stein ins Rollen gebracht, der über kurz oder lang zu einer Aufgabe der bisherigen Kategorien (Fachhochschule, Kunsthochschule, Universität) führen muss.
Die Gruppe konstruierte 4 Schemata, die sich auf Lehre, Forschung und Innovation, Profile der Studenten und der Mitarbeiter sowie auf die Institutionen selbst beziehen:
Lehre
Art der Abschlüsse
Dort geht es um die angebotenen Abschlüsse und ihre Wege dorthin.
Lehrfächer
Dazu wird eine Liste der Fächer aus der ISCED-Struktur der Unesco verwendet.
Orientierung der Abschlüsse
Unterschieden wird zwischen akademischer, beruflicher, kombinierter und nicht relevanter Orientierung.
Europäisches Lehrprofil
Indikatoren sind Teilnahmen an Programmen wie Socrates, Erasmus, Tempus, Leonardo und Erasmus Mundus.
Forschung und Innovation
Forschungsintensität
Wissenschaftliche und in den Forschungsfeldern thematisierte Publikationen der Lehrenden werden dafür ermittelt.
Innovationsintensität der Forschung
Verschiedene Kriterien werden angelegt, etwa die Zahl der Start-up-Firmen, die Zahl der Patente, das Volumen der Forschungsverträge mit Wirtschaft und Industrie.
Europäisches Forschungsprofil
Dieses Schema erfasst das Engagement einer Einrichtung in europäischen Forschungsprogrammen.
Profile der Studenten und der Mitarbeiter
Internationale Orientierung
Dabei steht die Selbstverpflichtung einer Einrichtung im Mittelpunkt, internationale Studenten und Mitarbeiter zu gewinnen.
Einbindung in lebenslanges Lernen
Indikatoren sind die Anteile an erwachsenen und sich weiterbildenden Teilnehmern in der Gesamtheit der Studenten.
Institutionelle Schemata
Größe
Erfasst werden dabei die eingeschriebenen Studenten, aber auch die Lehrenden und Mitarbeiter einer Hochschule.
Umsetzungsformen
Campus-basierte Lehre, Distance Learning, örtlicher Bezug, Filialisierung sind vorgesehene Indikatoren.
Dienstleistung für die Region / Gesellschaft
Dazu werden vor allem Anteile der Arbeitszeit der Mitarbeiter gewichtet, die dem Ziel dieses Schemas dienen.
Charakter
Unterschieden wird zwischen öffentlicher und privater Finanzierung.
Gesetzlicher Status
Unterschieden wird zwischen öffentlichem und privatem gesetzlichem Status.
Die Implementierung dieses hochinteressanten Entwurfs steht aus; zunächst wird über eine Pilotphase zu sprechen sein.
Der Erdrutsch wird kommen
Erkennbar wird, dass diese neue europäische Klassifizierung, die in Deutschland bisher so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen wurde, gerade für unternehmerisch aktive und international vernetzte Fachhochschulen eine wichtige Perspektive für die Zukunft bietet. Denn sie können sich bisher typisch universitäre Elemente wie wissenschaftliche Masterstudiengänge und Forschungsgruppen mit Promotionsmöglichkeiten durch internationale Kooperationen ins Haus holen.
Das ändert zwar gemäß den alten Strukturen und Gattungsnamen zunächst nichts an ihrem Status. Aber mit der Einführung der Van-Vught-schen Klassifizierung wären sie für die Öffentlichkeit, für Studieninteressenten und künftige Mitarbeiter auf jeden Fall sogleich als »neue Universitäten« erkennbar.
Künftig werden sich alle Einrichtungen gemäß ISCED-Level 5 und 6 als Universitäten verstehen und bezeichnen können. Ihre Vielfalt und Unterscheidbarkeit wird durch eine Klassifizierung gewährleistet, die das konkrete Angebot der jeweiligen Institution spiegelt, und nicht mehr dadurch, wie bisher üblich alle Angebote in gerade mal zwei, drei viel zu enge Schubladen zu zwängen.