Ein Symposium zu diesem wichtigen Thema, anlässlich der offiziellen Eröffnung des »Netherlands house for Education and Research« (Neth-ER), gab am Aschermittwoch, am 21. Februar 2007, im »Concert Noble« zu Brüssel Gelegenheit, sich mit wichtigen Fragen zu beschäftigen und wichtige Menschen zu treffen.
Der Leiter dieses neuen Verbindungsbüros aller wichtigen niederländischen Verbände aus dem breiten Feld der Lehre und Forschung, Prof. Dr. Frans van Vught, konnte nicht alle angekündigten Referenten des Symposium begrüßen, denn die Wissenschaftsministerin Maria van der Hoeven war in diesen Tagen der Kabinettsbildung in Den Haag unabkömmlich.
Doch er hatte Referenten zu Gast, die den Blick auf ein »Europa des Wissens« nicht mit lauwarmen Plattitüden, sondern – ganz professoral – mit Thesen und Umsetzungen realisierten.
Prof. Dr.-Ing. Emile Aarts, führender niederländischer Wissenschaftler aus der Philips-Stadt Eindhoven und im Technologie-Konzern verantwortlich für die Forschung, beschrieb den Wandel der Wissenschaft als ein Bekenntnis zum Praxisbezug. »Wer von Ihnen war schon einmal in ›Second Life‹ unterwegs? Wer von Ihnen kennt ›Web 2.0‹?« Die Paradigmen der Menschen von heute, die die Welt erkunden und forschen wollen, können Wissenschaftlern nicht fremde Welten bleiben.
»Vernetzung, Interdisziplinarität und Multidisziplinarität«
Sir Brian Fender des »Institute of Knowledge Transfer, UK and Ireland« ging auf wichtige Verändungen auf dem Weg zu einem »Europe of Knowledge after 2010« ein. Er analysierte zunächst die wissenschaftlich relevanten Stufen von »raw data« über »valid data«, »patterns«, »information« und »principles« bis zur Weisheit (»wisdom«).
Dann beschrieb er die Veränderungen um das Dreieck »Research«, »Teaching« und »Knowledge Transfer« seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Er sieht eine Bewegung von »closed« zu »open«, die sich für den Bereich Research, der mich im Hinblick auf eine Universiteit Friesland i. G. besonders interessiert, beschreiben lässt durch »global competition, strategic and professional«. Eine Zunahme von »dispersed learning« prophezeite Fender: durch IT-Entwicklungen, E-Learning, das Internet samt Web 2.0 und auch durch »virtual worlds«.
»Wie bekommen wir all das hin?« fragte er. Wir müssten den Link schaffen von »discovery, innovation, creativity, improvement«. Er entwirft das Bild einer Wissenschaft, die nach Antworten sucht auf Fragen aus dem Leben der Menschen, nicht mehr aus Ideen einiger Menschen.
So brach dieses Symposium, unter dem Beifall auch der vielen Kollegen aus den klassischen wissenschaftlichen Universitäten, eine Lanze für die auf Anwendung orientierte Forschung. Damit war nicht die sogenannte angewandte Forschung (professional research) gemeint, die gern den Fachhochschulen überlassen wird und oftmals unter einem Mangel an Forschungsmitteln leidet, sondern die bereits spürbare Veränderung der universitären Forschungsbereiche.
Mit dieser feinen Differenzierung gab Sir Fender mir einen wichtigen Wink für die Entwicklung unserer friesischen Universität. Sie mag mit Blick auf die Wissensgesellschaft 2010 den Anwendungsbezug der langjährigen FH-Tradition (in den Niederlanden HBO genannt) teilen, wird sich aber inhaltlich und methodisch breiter aufstellen. Diese anwendungsorientierte Wissenschaft, wie sie in Brüssel beschrieben wurde, dient nicht mehr der individuellen Problemlösung, sondern sucht einen ähnlichen Effekt, der aber weitreichender ist und noch mehr kompetenzbildend, über die Abstraktion, die Analyse, die Distanz zum einzelnen Problemfall.
Die Visionen dieses Symposiums entzogen sich aber – noch – ihrer eigenen Problematik. Wie soll eine »Multidisziplinarität« funktionieren, wenn doch jede Disziplin ihren eigenen Methodenkanon verherrlicht, der mit dem der anderen meist nicht kompatibel ist? Wer selbst schon einmal so geforscht hat, weiß um die dabei entstehenden Kommunikations- und Schnittstellenprobleme. Wie soll vernetztes Forschen entstehen, wenn beispielsweise der niederländische Staat jedes Promotionsvorhaben an refinanzierten Universitäten mit 80.000 Euro fördert, andere aber selbst für ihre Kostendeckung sorgen müssen? Wer sollte da mit wem und warum sein Butterbrot teilen?
Konsequent unausgesprochen schwebte über dieser feierlichen Veranstaltung zudem das immer noch schmerzende Schwert der Teilung des terziären Bildungsbereichs in wissenschaftliche Universitäten und angewandt orientierte Fachhochschulen. In den Niederlanden ist der Graben zwischen den beiden Studienmöglichkeiten nach meiner Einschätzung mindestens so tief wie in Deutschland.
Doch der letzte Referent hat diese beiden Welten unterschiedslos in seine engagierte Rede einbezogen: José Manuel Barroso (im Bild links), Präsident der Europäischen Kommission. Er lobte die Niederlande (völlig zu Recht, wie ich meine) für ihren Geist der Freiheit des Denkens und der Meinung sowie für die daraus entstehende Stärkung des Individuums. Und anschließend sprach er noch mit einigen engagierten Professoren, die von diesem neuen »Haus« in Brüssel eine stärkere Anbindung der niederländischen Hochschulentwicklungen an europäische Strömungen erwarten.
Wichtige Menschen, wie eingangs angekündigt, hatten ausführlich Gelegenheit zum Gespräch an diesem Brüsseler Aschermittwoch. Für unser Vorhaben einer Universität Friesland ergaben sich erste Sondierungsmöglichkeiten mit Mitarbeitern des »Ministerie van Onderwijs, Cultuur en Wetenschap« (OCW), also des niederländischen Ministeriums für Erziehung, Kultur und Wissenschaft. Sie sagten mir etwas, das ich allzu gern mit auf den Weg genommen habe: »Das neue Hochschulgesetz ist noch nicht in Kraft und es wird noch hier und da Änderungen geben bis zum Herbst. Aber Ihr könnt doch schon im Hinblick darauf aktiv werden und so viel wie möglich vorbereiten für die Universitätsgründung?!« Ja, das tun wir bereits…! Und genau das ist mein Job in Friesland.
Die eigentliche Eröffnung des »Neth-er«-Hauses geschah schlussendlich übrigens – siehe »Web 2.0« und »Second Life« – rein virtuell durch Betätigen eines roten Knopfes. Herr Barroso bediente ihn und der Mitarbeiter am PC startete zeitgleich die Bildschirmpräsentation zu den Inhalten und Aufgaben dieser wirklich wichtigen Einrichtung. Bewegendes Intro war ein niederländisches Klischee – zwar keine Windmühle und auch keine Tulpe, sondern ein Leuchtturm. Nun ja.
Bei dieser Szene ging ein anhaltendes Lachen und Raunen durch den Saal. Irgendwie sind Klischees und mediale »Klicki-Bunti« mitunter wohl auch für »Streng-Denker« erleichternd.
Was sagte dazu der Leuchttum? Blink-blink… 🙂