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Gemäß den Gesetzen der Wissenschaftlichkeit resultiert das Forschen stets in einer Publikation. Dabei steht es den Forschenden allerdings oftmals nicht frei, selbst den passenden Publikationsort zu bestimmen – vor allem dann, wenn es sich um Auftragsforschung handelt. Doch auch die freie, fachbezogene Forschung unterliegt immer mehr dem Zwang, bestimmte Publikationskanäle einzuhalten.

Die Reputation des forschenden Hochschullehrers wird zunehmend daran gemessen, wie oft er publiziert, wie hoch der Anteil an internationalen Publikationen ist, wie oft seine Publikationen von anderen zitiert werden und ob er in Zeitschriften mit „peer-review«, also nach Begutachtung durch Fachkollegen unter Wahrung der Anonymität des Verfassers, publizierten konnte.

»Sonderpunkte« gibt es dabei für den Forscher, wenn er Publikationen in den »Journals« des angelsächsischen Raumes unterbringen konnte. An jenen klebt der nicht wirklich begründbare Ruf, sie seien besonders aktuell und hochwertig.

Die Beurteilung und damit auch die staatliche Finanzierung von universitären Bereichen in einigen europäischen Ländern folgt diesem Mythos in mitunter verblüffender Naivität: Wenn viel in solchen »Journals« publiziert wurde, gibt’s mehr Geld.

Doch ist »der Anspruch, aus Leistungskennziffern und Ranglisten auf Qualität zu schließen, naiv«, deckte Alfred Kieser auf.

Droht Gleichschaltung…?

Dabei liegt es nahe, dass das »Peer-Review«-Verfahren der wissenschaftlichen Fachzeitschriften überhaupt nicht zu mehr und zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen muss, denn die dort eingesetzten »Peers« haben naturgemäß ihre ganz eigenen Vorstellungen von Methoden, Fragestellungen, Forschungsthemen und -zielen.

Was sie also nicht zur Publikation akzeptieren – und die Herausgeber folgen stets deren Votum -, das kann nicht zum Erkenntnis- und Wissensfortschritt beitragen, sondern fällt leider als angeblich untauglich unter den Tisch.

Entspricht das noch dem Gebot der Wissenschaftsfreiheit, das unser Grundgesetz erhebt…?

Nationale und marktgesteuerte Blickwinkel.

Insbesondere nationale Vorlieben im sogenannten angelsächsischen Bereich, aber auch Verflechtungen mit den jeweiligen wirtschaftlichen Interessen nehmen Einfluss auf das, was publiziert wird, ob es publiziert wird und wie es publiziert wird.

Das habe ich inzwischen selbst erlebt, nachdem ich probeweise einen typischen Journalbeitrag geschrieben und zunächst bei einem passenden Journal, das in den USA erscheint, online eingereicht hatte. Die Website des Journals lud immerhin jeden ein, mit interessanten Beiträgen aus den unterschiedlichsten Gebieten zum medienethischen Diskurs beizutragen.

Vergebliche Einreichung: USA.

Juni 2012. Ich hatte mein Manuskript an eine Mailadresse zu senden, die zum Verantwortlichen der Zeitschrift gehört; allerdings kam wochenlang keinerlei Antwort.

Nach sechs Wochen fragte ich nach, ob meine Einreichung denn überhaupt angekommen sei – keine Antwort.

Nach acht Wochen mobilisierte ich den Verlag – man verwies mich auf die Kontaktadresse, von der aber weiterhin keine einzige Antwort kam.

Nach zehn Wochen teilte ich ihnen allen mit, dass ich mein Manuskript zurückziehen würde und ihnen kein Publikationsrecht erteilen könne – erneut keine Antwort.

Für mich war das Thema damit beendet.

Alternativer Versuch in UK.

August 2012. Ich recherchierte eine andere, ebenfalls passende wissenschaftliche Zeitschrift – diesmal in UK – und reichte mein Manuskript dort online ein. Dies sah schon deutlich professioneller aus: Man muss separat ein Datenblatt mit Titel, Abstract und persönlichen Angaben hochladen, und den eigentlichen Artikel dann parallel und völlig anonymisiert.

Oktober 2012. Da kam auf einmal eine Antwort – und zwar mit einigen Korrekturhinweisen zu Umfang und Referenzierungen. Gesagt, getan: eine optimierte Version wurde hochgeladen.

Erhellende Email aus USA…

November 2012. Ich rieb mir die Augen: da meldete sich unerwartet die Schriftleitung jenes US-Journals, die mir monatelang auf meine fünf Emails nicht geantwortet hatte, entschuldigte sich mit dem »summer break« und teilte einleitend erst einmal mit, dass man eh nur durchschnittlich 15 % der eingereichten Manuskripte zur Publikation bringe.

Ferner wurde mir dann – meinen im August vollzogenen Rückzieher einfach ignorierend – mitgeteilt, man müsse mein Manuskript abweisen, da der Autor »unaware of the scholarship in journalism and mass communication, particularly in the US« sei.

Mein Beitrag war indes explizit aus deutscher Perspektive geschrieben… Die schriftführende Kollegin ging sogar noch weiter: „is does not fit at all with offerings in other parts of Europe or the UK or US.“

Na dann, dachte ich mir, ist es doch prima! Die Welt ist gottlob größer und besteht nicht nur aus den Denkmustern und Maßstäben eines angelsächsischen Raumes, vor allem nicht, wie sie in einem föderalen Staat namens USA gehandhabt werden.

Es besser sein lassen?

Nachdem mir vor gut anderthalb Monaten die amerikanische Kollegin klar gemacht hatte, dass ich vom Stand der Journalistik und Kommunikationswissenschaft, insbes. bezüglich der USA, keine Ahnung habe und zudem auch nicht mit den in Europa inkl. UK gehandhabten Studienschwerpunkten vertraut sei, überlegte ich bereits, ob ich nicht besser nach einem kleinen Landsitz mit Möglichkeit zur veganen Selbstversorgung Ausschau halten sollte, statt mich den derzeitigen Standards meiner Wissenschaftsgebiete so vergeblich zu unterjochen.

Und ein Kollege in den Niederlanden hatte mir derweil auch schon erzählt, dass von seinen letzten sieben Einreichungen bei Journals im angelsächsischen Raum nur zwei zur Publikation angenommen worden waren.

Na gut, dann muss ich selbst wohl auch nicht in Selbstzweifel geraten, dachte ich mir.

Ganz andere »Peers« in UK!

JICES14. Dezember 2012. Da rutscht mir heute früh beim ersten Kaffee überraschend eine so ganz andere Email auf meinen Bildschirm:

»After a favourable anonymous review, it is a pleasure to accept your manuscript entitled ‚Meaning-generating Propositions of Reality by Media – Quality Attributes and Functions of Journalism‘ in its current form for publication in Journal of Information, Communication & Ethics in Society.«

Und am Ende der Mail gab es aus dem Kreis der Peers solche Kommentare: »Great work! Cheers…«

Freut mich denn doch!

Der Artikel ist in der ersten Ausgabe dieser wissenschaftlichen Fachzeitschrift von Emerald Group Publishing in 2013 erschienen. Link zum Artikel: DOI (Permanent URL)

Fazit…

Meine Zweifel an diesem offensichtlichen Modetrend, das Englischsprachige und damit den angelsächsischen Raum als den einer heutigen »lingua franca« zu beweihräuchern, wurden durch diesen unbeabsichtigt parallel laufenden Einreichungsvorgang bestätigt: Was den einen nicht in den Kram passt, kann von den anderen hingegen sehr wohl mit Lob versehen und akzeptiert werden…

Ich denke, dass es insgesamt wichtiger ist, unter Wahrnehmung der uns gemäßen Wissenschaftsfreiheit Bücher oder Buchbeiträge in unserer eigenen Sprache zu verfassen, die von den jeweiligen Verlagen oder Herausgebern begrüßt werden, als sich einem so sehr undurchsichtigen Peer-Review-System zu stellen, bei dem

  • eine unbekannte Anzahl
  • unbekannter Gutachter
  • aussiebend (!)
  • nach unbekannten Kriterien agierend
  • unbekannte eigene Interessen

durchsetzen kann.

Und da man nie deren Namen erfährt, kann man auch mit niemandem jemals darüber disputieren… Mit dem Transparenzgebot der Wissenschaftlichkeit passt das erkennbar nicht zusammen.

Dennoch habe ich diesen sportlichen »Wettkampf« genossen – und werde ihn allein deswegen vielleicht noch einmal angehen.

Als für die Wissenschaft hilfreich mag ich den »Journals-Kult« indes keinesfalls einschätzen.

Nachtrag am Tag des Rücktritts der Wissenschaftsministerin Annette Schavan, 9. Februar 2013.

Aufgrund der zunehmenden Debatten über die Sicherung der Promotionsverfahren in Deutschland könnte es indes ein sinnvolles Konzept sein, ein oder zwei Journal-Beiträge im Verlauf der Erstellung einer Dissertation (Doktorarbeit) zu publizieren und diese Vorab-Publikationen in das finale Produkt zu integrieren.

Solches Vorgehen könnte zur Qualitätssicherung beitragen, denn die Betreuer müssten diese Artikel auf jeden Fall sehr genau gelesen und geprüft haben, da sie als Mit-Autoren auftreten…

PS:

Meine aktuelle Publikationsliste