So überschrieb Prof. Dr. Harry Kunneman seine »Oratie«, eine Inaugurale Rede am 12. November 2013 in Utrecht. Anlass war die Annahme eines persönlichen Lehrstuhls an der Universität, an der er bisher den größten Teil seines akademischen Lebens verbracht hat: an der University for Humanistic Studies (UvH).
Es ging ihm darum, aus einer sozial-philosophischen Perspektive die Bedeutung normativer Professionalisierung für das Entwickeln menschenwürdiger Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit zu unterstreichen.
Einerseits macht er sich Sorgen über die weltweite Dominanz neoliberaler Werte und über die dazugehörige kurzsichtige Orientierung auf ein vermeintlich grenzenloses ökonomisches Wachstum. Er legte dar, dass die neoliberalen Werte zu klein seien im Verhältnis zur Komplexität der globalen Fragen, vor denen wir stehen. Sie verführten dazu, die Komplexität zu reduzieren – und wo das nicht gelinge, die Komplexität zu verdrängen. Die ökologischen Probleme, die auf uns zukommen, böten dazu stark beunruhigende Beispiele an.
Andererseits schöpft er Hoffnung aus dem zunehmenden Verständnis dafür, dass wir größere Werte benötigen, sowie aus allen damit verbundenen heutigen Bewegungen, die nach Werten und Praktiken suchen und die uns helfen, unsere Welt und unseren Zukunftshorizont zu vergrößern anstelle sie zu verkleinern; dabei gehe es um Werte und Praktiken, die uns helfen, die Komplexität der Fragen, vor denen wir stehen, anzupacken anstatt sie zu verdrängen.
Dies bezeichnet er als die politische Perspektive, von der aus er in den kommenden Jahren zusammen mit Kollegen und Promovendi forschen will auf dem Gebiet »normativer Professionalisierung«.
Er strukturierte seine Vorlesung in diese fünf Punkte:
- Postmodernes Denken als gelungenes Misslingen
- Vertikale und horizontale Moralität
- Vertikale und horizontale Erkenntnistheorien
- Die zweite Postmoderne
- Die politische Bedeutung normativer Professionalisierung
Im vierten Kapitel widmete er sich der aus seiner Sicht notwendigen Haltung einer »amor complexitatis«, jener konstruktiven Umgehensweise mit Komplexität, vor der die bisherige Postmoderne resigniert habe.
Und im fünften Kapitel zog er daraus Schlüsse für das Konzept der »Normativen Professionalisierung«, dem er sich bereits seit vielen Jahren an der UvH in Utrecht widmet – hier nun ergänzt um eine explizit politische Dimension.
Aufzeichnung des Vortrags am 12. November 2013
Eine neue Stufe erreicht
Damit hat Harry Kunneman erkennbar eine nächste Stufe in seiner bisherigen Forschungsarbeit erreicht. Nachdem er nun mit Erreichen des Pensionsalters nicht mehr auf konkrete Anwendungsbezüge in Wirtschaft und Gesellschaft und auf entsprechende Ausbildungsbelange in den Studienangeboten seiner Universität angewiesen ist, kann er sich forschend dem Grundsätzlichen widmen, und er tut dies zugleich mit klarem Anwendungsbezug.
Viele Weggefährten, Kollegen und Absolventen sowie seine Familie waren zugegen und erlebten diese intensive, mitunter mitreißende Rede. Der Applaus in der voll besetzten Aula wollte schier nicht enden.
Für mich war es ein bewegender Abend und eine Gelegenheit, ihm zu danken für die fruchtbaren Jahre der Zusammenarbeit in der bis zum Sommer 2013 von ihm geleiteten »Graduate School« der UvH.
Ein Druck seiner Rede ist bereits in der Schriftenreihe der UvH erschienen, leider nur in niederländischer Sprache. Die Bedeutung seines Ansatzes dürfte jedoch über die Landesgrenzen hinaus Beachtung finden.