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Mit Hilfe einer Expertenrunde sucht der niederländische Bildungsminister Ronald Plasterk derzeit nach einer Alternative zum bisherigen “binären System” – der pauschalen Unterscheidung zwischen Universitäten und berufsorientierten Studieneinrichtungen. Die Universitäten mauern – die “Hogescholen” hingegen reiben sich die Hände, vermutlich weil ihnen noch nicht klar geworden ist, dass ein differenziertes Modell auf jeden Fall zunächst nur auf ihre Kosten geht – ja gehen muss.

In Deutschland steht eine Differenzierung der Hochschularten nicht zur Debatte, weil sie hierzulande im Wesentlichen den gleichen Qualitätsmaßstäben genügen: Sie arbeiten wissenschaftlich fundiert und ihre Abschlüsse sind – insbesondere seit Einführung der Bachelor-Master-Studiengänge – kompatibel. Für Unruhen bei den Studierenden und für Veränderungen sorgen hier eher die Umsetzungsprobleme der Studienformen.

In den Niederlanden hat man andere Sorgen: Da gehen die Studierenden nicht auf die Straße, sondern da wird seit einigen Jahren von den meist privatrechtlichen Hochschulbetreibern immer wieder die Frage nach dem Sinn und Bestand des binären Hochschulsystems gestellt – hie die traditionellen und international oft hoch geschätzten Universitäten, dort die Einrichtungen der höheren Berufsausbildung (HBO) namens “Hogescholen”.

Zwei Drittel der Studierenden sind in den Niederlanden an diesen Hogescholen eingeschrieben, nur ein Drittel besucht die Universitäten. In Deutschland hingegen studieren fast drei Viertel an Universitäten, aber nur gut ein Viertel an Fachhochschulen.

Substantielle Unterschiede.

Beide Einrichtungsarten fallen inzwischen unter dasselbe Hochschulgesetz in den Niederlanden, aber qua Ausrichtung und Substanz haben sie wenig gemein:

  • Die niederländischen Universitäten zeichnen sich durch wissenschaftliche Forschung aus, die von Professoren samt wissenschaftlichem “Mittelbau” realisiert wird. Sie haben das Promotionsrecht und ihre Studiengänge schließen mit den in Europa inzwischen üblichen Titeln wie Bachelor / Master of Arts, of Education und of Science ab.
  • Die Hogescholen haben keine Professoren; für angewandte Forschung sollen dort “Lektoren” sorgen, die aber gar nicht als Lehrende und Leitende in den Studiengängen verankert sind. Inzwischen wird diese Position verwässert, weil sich inzwischen sogar die normalen Berufsschulen mit “Lektoren” zu schmücken beginnen. Die HBO-Dozenten sind oft nicht einmal Akademiker. Diese Einrichtungen bieten Bachelor-Studiengänge an, die ein Jahr länger dauern als an den Universitäten. Sie dürfen keine den Universitäten und den deutschen Fachhochschulen gleichwertigen Studienabschlüsse verleihen, sondern da heißt es dann Bachelor of Applied Arts oder gar Bachelor of Tourism Management. In einer weiter abgespeckten Studienform können Studierende auch nach zwei Jahren bereits mit einem Associate Degree die Einrichtung verlassen – einem ansonsten in Europa nicht anerkannten Abschluss. Die Masterabschlüsse der Hogescholen eröffnen ferner nicht den Zugang zur Promotion, sie haben die gleichen Restriktionen für die Abschlussbezeichnung wie die Bachelorprogramme und sind ebenfalls nicht den deutschen Hochschulabschlüssen gleichwertig.

Doch gerade diese Hogescholen, die obendrein meist nicht von Akademikern und Hochschullehrern, sondern von Kaufleuten geleitet werden, drängen nun danach, den Universitäten gleichgestellt zu werden. Dabei sind sie noch nicht einmal auf dem Niveau der Fachhochschulen im deutschsprachigen Raum, die mit einer ganz anderen Substanz und daher in einer tatsächlichen Gleichwertigkeit zur Universität arbeiten, angekommen.

Dennoch erlaubte vor knapp zwei Jahren Minister Ronald Plasterk den HBO-Einrichtungen, sich wegen der internationalen Anschlussfähigkeit künftig “University of Applied Sciences” zu nennen. Das ehrende Etikett reichte manchen Hogeschool-Betreibern aber nicht – sie bezeichnen ihre Einrichtung zumindest in ihren englischsprachigen Informationen gern als “University”, obgleich sie international nur mit einem “Community College” gleichgestellt ist, wie man es in den USA kennt.

Keine Gleichstellung in Sicht.

Der jüngste Plan von Minister Plasterk, sich von der “Kommission Veerman” Änderungsvorschläge machen zu lassen, die einen Übergang vom binären zu einem differenzierten System ermöglichen sollen, könnte sich als ein kluger Schachzug erweisen, um die Ambitionen der akademisch unzureichend aufgestellten Hogescholen konstruktiv in die Pflicht zu nehmen – denn eine solche Differenzierung kann genau nicht zu dem führen, was die Hogescholen bloß wollen: eine Gleichstellung mit den Universitäten.

Längst liegen ja in Brüssel Pläne für eine Differenzierung der Hochschulen in Europa in der Schublade – federführend von einem Niederländer entwickelt, nämlich Prof. Dr. Frans van Vught, siehe auch den Bericht vom 26. Juni 2007 dazu in gertler.net. Und an diesen Plänen, die mit den Klassifizierungen im USA-Hochschulsystem vergleichbar sind, wird die Kommission Veerman nicht vorbeigehen können.

Aber sie wird zugleich – anders als es das Van-Vught-Modell nahelegen würde – die Universitäten und die Hogescholen schon deswegen nicht in einen Topf werfen können, weil die Hogescholen substantiell so enorm weit von den Universitäten entfernt sind. Dass Plasterk nicht einfach das Van-Vught-Klassifizierungsmodell aufgegriffen hat, macht deutlich, dass er die substantiellen Unterschiede in seinem Land klar vor Augen hat und keinesfalls eine institutionelle Gleichstellung und damit Verwässerung anstrebt.

Zu erwarten ist daher eine Skala, die die jetzigen beiden Bildungseinrichtungen in den Niederlanden zunächst einmal noch weiter voneinander entfernt – sicherlich versehen mit der Möglichkeit, dass die Hogescholen sich im Laufe der Jahre hocharbeiten können, näher an die Universitäten heran.

Hogescholen sind (noch) nicht auf dem Stand von Fachhochschulen.

Um erst einmal überhaupt das deutsche Fachhochschulniveau zu erreichen, bräuchte es Jahre, gar Jahrzehnte auf Seiten der Hogescholen, wie diese Übersicht verdeutlicht:

Fachhochschulen D Hogescholen NL
Professoren und Dozenten Professoren (bis auf wenige Ausnahmen promoviert) leisten i.d.R. 60 – 95 % der Lehrveranstaltungen. Rest: Promovierte und Bachelor- oder Masterniveau. Keine Professoren. Dozentenprofil i.d.R.: 1 – 5 % Promovierte, 30 – 60 % Masterniveau. Rest: Bachelorniveau und darunter.
Abschlüsse international und den Universitäten gleichwertig (“of Arts” etc.)? Ja Nein
Bachelorabschluss berechtigt zum Weiterstudium (Master) an Universitäten? Ja Nein
Masterabschluss berechtigt zum Beginn eines Promotionsvorhabens? Ja Nein

In Deutschland hatte man nach Einführung der Fachhochschulen zu Beginn der 70er Jahre sogleich die Weichen für die notwendige akademische Substanz gestellt, indem die Qualifikationsmerkmale für Lehrende und die Einstellungsbedingungen Schritt für Schritt daraufhin angehoben wurden.

In den Niederlanden, wo man gern vom Strand aus in die Ferne schaut, am liebsten weit in den angelsächsischen Raum, hat man diese Entwicklungen im angrenzenden Nachbarland Deutschland aber offenbar beharrlich ignoriert. Dabei würde in den USA eine Hogeschool heutigen Zustands auch nicht University heißen dürfen, sondern würde bei den Community Colleges einsortiert.

Problematisch ist dabei noch, dass in den Niederlanden kein gesetzlicher Schutz für die akademischen Bezeichnungen besteht – ein jeder kann sich da ohne ministerielle Anerkennung Professor und seine Einrichtung University nennen, ohne dass ihm deshalb ministerielle Sanktionen und gar Strafverfolgung drohen, wie das in Deutschland und anderen Ländern Europas der Fall ist.

Hoffen – statt Sorgen.

Man wartet in den Niederlanden nun gespannt auf die Ergebnisse der Kommission. Die Sorgen mancher Universitäten in den Niederlanden, der Minister würde den Standesunterschied zwischen Universität und Hogeschool aufheben, wie sie gerade erst von der Rektorin der Universität Amsterdam vorgetragen wurden – siehe Scienceguide NL – dürften letztlich unbegründet sein.

Es ist zu vermuten, ja zu hoffen, dass die international besetzte Kommission Veerman die niederländischen Inkonsistenzen und den enormen Abstand zwischen Universität und Hogeschool vor Augen haben wird und die institutionellen Unterschiede deswegen genau nicht aufhebt, sondern – schon um des Bildungsniveaus im eigenen Land und der internationalen Kompatibilität der Abschlüsse willen – sie sinnvoll ausdifferenziert und dazu einige wesentliche Dinge regelt:

  1. Definition handhabbarer Kriterien für die unterschiedlichen Bildungseinrichtungen und ihre Zuordnungen (wo handelt es sich um Hogescholen, ab wo um Universitäten?),
  2. Abschaffung der deputatslosen und oft freischwebenden “Lektorate”, die international und im europäischen Raum unverständlich sind; stattdessen verordnete Einführung von Professuren an allen Hogescholen (gemäß deutschem FH-Vorbild) – verbunden mit einer klaren Anhebung der Akademisierungsquote für Hogescholen, die vom niederländischen Kabinett im November 2007 definiert wurde und im internationalen Vergleich viel zu gering angesetzt war,
  3. Valide Unterscheidung in den internationalen (also englischsprachigen) Bezeichnungen der Bildungseinrichtungen, differenziert nach a) “Community College” (oder ähnlich, um Kollisionen mit den Berufsschulen zu vermeiden, die sich dort meist College nennen), b) “University of Applied Sciences” (sofern dort dank überwiegender Lehre durch Professoren und Promovierte auch tatsächlich von angewandter Forschung die Rede sein kann) und c) “University” (sofern dies international, insbesondere mit Blick auf den europäischen Raum, geboten ist),
  4. Abschied von allen “Extrawürsten”, die nicht zum Bologna-Prozess und seiner europäischen Vereinheitlichung passen: umgehende Streichung von Associate Degree und ins Studium integrierten Honours-Degrees (auch diese gehören nicht zum tertiären System in Deutschland) bei den Hogescholen; Ermöglichung zur Vergabe von international anerkannten Abschlüssen durch Hogescholen, sobald dort jeweils im Zuge der Akademisierung die international geltenden Kriterien erfüllt sind.

Hauptziel von Plasterks Operation wäre dann, dass die Hogescholen durch solche strategischen Maßnahmen gezwungen würden, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums – etwa der gerade begonnenen Dekade – ihre momentane Unterqualifizierung zu überwinden und Stufe für Stufe aufzusteigen, sich also durch eigene Leistung den Universitäten anzunähern, anstatt sich durch ehrenvolle Bezeichnungen lediglich umzuetikettieren.

Ziel kann nicht sein, dass die Hogescholen sich als den Universitäten gleichwertig fühlen und so auftreten können, denn sie sind es nicht.

Das binäre System der tertiären Bildung in den Niederlanden muss nach klaren Kriterien mehrstufig werden, nicht aber nach englischem Vorbild (1991) sozusagen unterschiedslos. Mit einem halbgaren Eintopf, mit einer Verwässerung der faktischen Unterschiede würde sich das niederländische Hochschulsystem nämlich vollends gegenüber seinen europäischen Nachbarn isolieren – mit schwer wiegenden Folgen insbesondere für die internationale Reputation der derzeitigen niederländischen Universitäten. Herr Minister Prof. Dr. Plasterk: Sie sind am Zug…!